Die Nacht am Everest Base Camp
Ob ich diese Nacht nochmal schlafen werde, genau das frage ich mich jetzt um ungefähr kurz nach drei Uhr, während ich mich erneut im immer kälter werdenden Zelt hier vor dem Mount Everest Base Camp umdrehe.
Eigentlich geht es mir ganz gut. Die Höhe an sich macht mir wenig zu schaffen – keine Kopfschmerzen. Nur eine leichte Erkältung nervt und ich probiere mir möglichst leise in unserem Acht-Personen-Zelt die Nase zu putzen. Um halb sieben wollen wir schon wieder aufstehen um zum Sonnenaufgang ans Everest Base Camp gelaufen zu sein. Dort, wo zur Hauptaufstiegszeit hier im April und Mai hunderte Bergsteiger ihre Zelte aufgestellt haben. Von unserem Schlafplatz liegt das Base Camp ungefähr vier Kilometer entfernt und es sind noch 100 Höhenmeter zu erklimmen. Aber Einschlafen funktioniert trotzdem immer noch nicht.
Vor einer Stunde hat meine Blase dann den inneren Dialog gewonnen doch nach draußen aufs Klo zu gehen, naja, irgendwo hinters Zelt. Lustig, wie lange es nach jeder Bewegung noch dauert, bis das Herz keine Technobeats mehr schlägt, obwohl man trotzdem recht ruhig atmen kann.
Irgendwann denke ich nochmal über die „abgefahrene“ Fahrt hierher nach: Natürlich einmal im ganzen – von Frankfurt mit der Bahn über Moskau, Peking nach Lhasa. Dann mit dem Bus bis vor den höchsten Berg der Welt. Über große und sehr große Weltstädte bis irgendwie in eine der abgelegensten Gegenden, in die man nur über eine Staubpiste kommt. Erstaunlich war dann doch, wie gut ausgebaut die Straße über den letzten Pass war – auch wenn erst seit zwei Jahren geteert. Zeigt aber auch, dass scheinbar genug Leute hierher unterwegs sind um den Ausbau zu rechtfertigen.
Gestern Abend kurz bevor unsere tibetische Zeltaufseherin uns Essen gekocht hat, sind dann noch einmal fast sämtliche Wolken verschwunden und alle Zeltstadtbewohner sind wie magisch „ans Ende dieser Stadt“ gewandert um Fotos vom Mount Everest und auch sich selbst zu machen. Irgendwie abgefahren wie Leute das Verschwinden von Wolken feiern können um ein Foto von so einem schneebedeckten Brocken zu machen. Ein bisschen konnte man ja nachvollziehen was die Magie ausmacht. Der Berg steht hier am Ende vom Tal schon wirklich wie auf einem Präsentierteller. Links und rechts graue Hänge voll mit Geröll und gerades aus vor dir wird der weiße Berg von den letzten Sonnenstrahlen angeleuchtet. Klar, sieht er schon höher aus als andere Berge auf dem Weg hierher, aber von 5.100m bis 8.800m sind es ja auch nur 3.700m und so schroff und steil sieht er gar nicht aus, sodass man wirklich auf die Idee kommen könnte „da mal hochzusteigen“. Ok, nachdem wir fünf Fotos gemacht haben und ich von der abgestellten Kamera zu Sina gespurtet und nun völlig außer Atem bin, verwerfe ich den Gedanken erstmal wieder.
Ein Lhasa Bier trotz Warnung von Guide und Busfahrer musste vor dem Essen sein, den Schnaps von unserer tschechischen Tourkollegin haben wir vertagt. Zum essen wurde der Holzofen im Zelt nochmal mehr oder weniger ordentlich eingeheizt und das musste dann für die Nacht reichen (ein Grund warum uns vom Guesthouse den Rongbuk Klosters abgeraten wurde, eine wirkliche Wahl hatten wir nicht. Bestimmt ist diese Zeltstadt mehr oder weniger ein Zusammenschluss sämtlicher Tibettour-Anbieter).
Zum Sonnenaufgang ans Everest Base Camp
Am nächsten Morgen, nach dann doch noch ungefähr drei Stunden Schlaf, klingelt um 6.20 Uhr dann der Wecker und wir ziehen uns so ziemlich alles an, was der Rucksack hergibt. Ohne Frühstück, was sich noch rächen wird, geht es so gut gelaunt, wie es die Uhrzeit zulässt, in die Dämmerung in Richtung Talende. Mit den Jungs aus England wird auf dem Weg ein bisschen gelabert, sodass ich gar nicht so recht mitbekomme, wie die Sina mit zwei anderen Mädels etwas abgehängt wird. Naja, sind ja in der Gruppe, sodass ich mir denke, dass wir uns am Base Camp wieder treffen werden. Der Weg ist auch eher gemütlich zu laufen, da er auch von Kleinbussen befahren wird. Diese Busse müssen auch fahren, denn ich denke viele Chinesen hätten sonst keine Lust den kurzen Ausflug zu Fuß zu machen.
Die letzten Dunstschwaden verziehen sich tatsächlich, sodass wir um kurz nach sieben, immer noch in klirrender Kälte, auf einem kleinen Hügel mit tibetischen Gebetsflaggen übersät , vor der doch recht großen Fläche des Everest Base Camps stehen und damit wohl so dicht vor dem höchsten Berg der Erde wie nur möglich. Wir wurden ausdrücklich gewarnt nicht weiterzugehen, denn scheinbar wird das Gebiet stark vom chinesischen Militär kontrolliert, da es sich ja um einen Grenzübergang nach Nepal handelt. Nach Aussage von unserem Guide wird dieser auch rege genutzt um aus dem Land zu fliehen! Die Aussicht wurde mit jedem Meter, den die Sonne steigt, besser. Nur Sina tauchte irgendwie nicht auf.
Als schließlich die mit Sina zuletzt gesichtete Begleiterin auftaucht und mir mitteilt, dass Sina an „einem Felsen“ auf mich wartet, mache ich mich mit einem etwas schlechten Gewissen, sie so abgehängt zu haben, auf einen flotten Rückweg. Nirgendwo sehe ich jemanden an einem Felsen sitzen und ich habe die Vermutung, dass sie schon einen der ersten Busse wieder mit nach unten zur Zeltstadt genommen hat. Letzten Endes finde ich Sina beim Frühstück in unserem Zelt – sie musste ohne das Frühstück den „Aufstieg“ abbrechen, da es etwas an Kraft gefehlt hat.
Ich überrede Sina schließlich nochmal mit dem Bus vollständig ans Base Camp zu fahren. Die lange Anfahrt soll sich ja schließlich auch ein bisschen lohnen und so oft kommen wir ja nicht mehr hierher um so kurz vor dem Ziel Base Camp zu scheitern. Oben machen wir noch ein paar gemeinsame Fotos und essen unser letztes Mitbringsel aus Deutschland: Einen Kokosriegel, den wir die gesamte Zeit schon mit uns rumtragen/-fahren haben, der mittlerweile etwas zerdrückt war und an einem besonderen Moment genossen werden sollte. Am Base Camp war die Zeit des Kokosriegel schließlich gekommen.
Auf dem Rückweg mussten wir ziemlich lange auf den Bus zur Zeltstadt warten, sodass wir unsren Guide und Busfahrer etwas verärgert haben. Der Rest der Gruppe hatte mit unserer Verspätung weniger ein Problem. Nach diesem erlebnisreichen Morgen und eigentlich viel zu wenig Zeit „am Berg“ ging es wieder über Pässe und „bumpy“ Roads nach Xigaze.
Am nächsten Tag stand die dritte elf Stunden Fahrt an. Anstatt über den Friendship-Highway zügig nach Lhasa zu düsen, sollten wir erneut über einen Pass, einen Stausee, ein Kloster in Gyantse und einen der größten Seen in Tibet über einen Umweg nach Lhasa zurückkommen. Dieser Umweg hat sich auf jeden Fall gelohnt (seht einfach die Bilder) und das Wetter war auch wieder auf unserer Seite. Es war vermutlich der sonnigste Tag bisher in Tibet.
Auch wenn diese Tour wirklich durchgetaktet war und vielleicht auch vor allem von uns beiden, welche ja schon mehrere Wochen zuvor immer nur drei bis vier Tage an einem Ort verbracht hatten, als recht anstrengend empfunden wurde, hat sie sich schon gelohnt. Die Landschaft ist wirklich absolut beeindruckend. Natürlich ist gerade das Verhältnis zwischen Fahrzeit und Zeit vor Ort, sei es dem Everest oder den Seen wirklich schlecht. Aber anders geht es halt nicht, den Tibet ist groß und eine Woche zu kurz. Leider ist es für Ausländer auch nur möglich mit einem Guide die Landschaft zu erkunden. Da bleibt natürlich einiges an Freiheit über die eigene Zeiteinteilung auf der Strecke, auch wenn Fahrer und Guide wirklich einen guten Job gemacht haben. Von Lhasa sollte man wirklich nicht denken, dass es eine eher kleinere Stadt in den Bergen ist. Denn das haben wir gemacht und mal wieder gehen Erwartungen und Realität auseinander und man ist erstmal geschockt. Daher lieber nichts erwarten und sich über das freuen was kommt. In Lhasa ist es nämlich genauso wuselig wie in anderen chinesischen Großstädten und auch hier wird man als Langnase immer besonders gemustert.
Politik in Tibet ist natürlich sehr heikel und die gesamte Gruppe hat probiert den Guide mit den Fragen nicht allzu sehr in die Bredouille zu bringen. Interessant ist natürlich, dass die chinesische Regierung zu sämtlichen Nationalfeiertagen Flaggen für die örtlichen Tibeter sponsort, damit diese sich eine chinesische Flagge aufs Hausdach stellen können. Nirgendwo sonst in China haben wir so viele chinesische Flaggen gesehen. Ok, auch sonst gab es in Tibet natürlich die meisten Flaggen, aber die waren ansonsten bunt und hatten religiöse Hintergründe. Mit der Qinghai-Eisenbahnstrecke waren wir natürlich auch Nutzer eines chinesischen Bauprojektes, welches erst vor guten 10 Jahren vollendet wurde. Und ich würde definitiv die Bahn einem Bus oder Auto auf dieser langen Strecke vorziehen. Die Busfahrten in Tibet an sich haben mir schon gereicht.
Die Regierung plant viele Ansiedlungsprojekte für tibetische Nomaden, wobei viele von den dafür vorgesehenen Gebäuden leer zu stehen schienen. Ob man wirklich Menschen gegen ihren Willen irgendwo sesshaft machen muss, ich weiß ja nicht. Viele Großprojekte, wie die Bahnstrecke wären also sicher ohne chinesisches Mitwirken nicht denkbar. Wie sehr die Tibeter in der Ausübung ihrer Bräuche und Religion beeinträchtigt sind und werden, kann ich nicht wirklich beurteilen. Ich habe nur miterlebt, dass die chinesische Regierung wirklich darauf bedacht ist, zu kontrollieren wer diesen Teil des Landes betritt und verlässt. Wir sind wirklich viel kontrolliert worden, wobei natürlich wirklich die meisten Kontrollen durch unseren Guide abgefedert und gemanagt wurden.
Am meisten hat uns dann beim Verlassen von Lhasa doch genervt, dass wir sämtliche Taschenmesser an der Eingangskontrolle vom Bahnhof abgeben mussten. Gerade wir so als Längerreisende fanden unsere Taschenmesser recht praktisch. Das Messer aus unserem kleinen Besteckset haben wir zum Glück wiederbekommen. Wir hätten wir denn sonst in Zukunft unser Nutella-Brot schmieren sollen?!?! Den Sinn, sofern es tatsächlich einen gab, hinter dieser Aktion haben wir nicht verstanden, denn wir durften mit Messer nach Tibet einreisen, aber raus geht dann nicht mehr? Gefragt haben wir uns auch, was mit den Personen passiert, die in einem der vielen Souvenirshops ein schön verziertes „Tibet-Messer“ erworben haben. Ob die auch einbehalten und dann dem nächsten Souvenirshop wieder zur Verfügung gestellt werden? Und wir haben uns die vielen Eisenbahnkilometer von Deutschland hierher nie unsicher gefühlt, obwohl wir wussten, dass Menschen womöglich Taschenmesser bei sich führen dürfen!
Hier nochmal ein paar mehr Bilder in der Galerie zum Everest Base Camp und zum zweiten Teil durch Tibet. Lies auch unseren nächsten Beitrag zur Zugfahrt mit der Qinghai Tibet Railway.
Wahnsinn! Was für gigantische Eindrücke! Danke, dass ihr so fleißig schreibt und uns ein bisschen teilhaben lasst! ? Ich habe immer das Gefühl, ein spannendes Abenteuerbuch zu lesen ?.
Schön zu sehen und lesen, dass es euch gut geht! Fühlt euch gedrückt!?
Richtig beeindruckend!!
You Cant Rest AT Everest..only Eve Rest AT Everest………
Ganz doll neidisch ??
Interessante Seiten. Danke!
LG, Wi grenzenlos